20 Jahre Washingtoner Abkommen – Eine Bilanz

2021 jährte sich die Unterzeichnung des 2001 in Kraft getretenen „Abkommens zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika zur Regelung von Fragen der Entschädigung und Restitution für Opfer des Nationalsozialismus“ (BGBl. III Nr. 121/2001) zum 20. Mal.

In einem zehn Punkte umfassenden Anhang wurden konkrete Maßnahmen vereinbart, deren Umsetzung im Folgenden kurz dargestellt werden soll.

1. Sofortige Entschädigung für Überlebende

Punkt 1 des Abkommens sah eine sofortige Entschädigung an NS-Überlebende für entzogene Mietrechte, Hausrat und persönliche Wertgegenstände vor, die ab 2001 durch den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus erfolgte.

Anträge konnten bis zum 30. Juni 2004 eingereicht werden. An rund 20.000 AntragstellerInnen bzw. deren ErbInnen wurden eine Pauschalsumme von je 7.630 Euro bzw. 7.000 US-Dollar sowie eine Nachzahlung von je 1.000 Euro ausbezahlt. Insgesamt zahlte der Nationalfonds im Rahmen der so genannten Mietrechtsentschädigung rund 175 Millionen Euro aus.

2. Errichtung eines Allgemeinen Entschädigungsfonds

Punkt 2 betraf die Einrichtung eines Allgemeinen Entschädigungsfonds zur umfassenden Lösung offener Fragen der Entschädigung von NS-Opfern.

2001 wurde das Bundesgesetz über die Einrichtung eines Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus und über Restitutionsmaßnahmen (EntschädigungsfondsgesetzEF-G) erlassen. Um die Möglichkeit der Antragstellung bekannt zu machen, wurde eine weltweite Anzeige in 18 Sprachen, 29 Ländern und 138 Printmedien veröffentlicht. Insgesamt langten bis Fristende im Mai 2003 über 20.700 Anträge auf Vermögensentschädigung ein. Nachdem 2005 die letzte Sammelklage gegen Österreich bzw. österreichische Unternehmen in den USA abgewiesen und in der Folge die Rechtssicherheit (siehe Punkt 10) bekannt gemacht worden war, begann der Entschädigungsfonds mit den Auszahlungen der dafür bereitgestellten 210 Millionen US-Dollar.

Die Anträge auf Vermögensentschädigung beim Entschädigungsfonds wurden durch ein unabhängiges, dreiköpfiges Antragskomitee entschieden. Je ein Mitglied wurde von der Regierung der Vereinigten Staaten und der Regierung Österreichs nominiert. Von diesen zwei Mitgliedern wurde der Vorsitzende bestimmt. Dem Antragskomitee gehören Sir Franklin Berman (Vorsitz), von amerikanischer Seite G. Jonathan Greenwald und von österreichischer Seite Dr. Kurt Hofmann an.

Alle Anträge auf Vermögensentschädigung sind entschieden. Insgesamt gelangten rund 215 Mio. US-Dollar zur Auszahlung. Insgesamt haben rund 25.000 Begünstigte (AntragstellerInnen, ErbInnen, MiterbInnen) eine Zahlung aus dem Entschädigungsfonds erhalten.

Am 4. April 2017 wurde der Schlussbericht des Antragskomitees durch den Hauptausschuss des Nationalrates zur Kenntnis genommen und das Antragskomitee aufgelöst.

3. Schiedsinstanz für Naturalrestitution von öffentlichem Vermögen

Punkt 3 sah die Errichtung einer Schiedsinstanz für Naturalrestitution vor, die Anträge auf Rückstellung von Liegenschaften sowie von Vermögen jüdischer Gemeinschaftsorganisationen prüfen sollte.

Beim Entschädigungsfonds wurde daher neben dem Antragskomitee auch die unabhängige Schiedsinstanz für Naturalrestitution eingerichtet. Dieses dreiköpfige Gremium bestand von 2001 bis 2021 und konnte die Rückstellung von in der NS-Zeit entzogenen Liegenschaften und Superädifikaten bzw. von beweglichem Vermögen jüdischer Gemeinschaftsorganisationen empfehlen, soweit diese Vermögenswerte am 17. Jänner 2001 im öffentlichen Eigentum standen.

Öffentliches Eigentum umfasste dabei (unmittelbares und mittelbares) Eigentum des Bundes sowie jener Länder und Gemeinden, die sich dem Verfahren der Schiedsinstanz angeschlossen hatten. Das waren die Stadt Wien, die Bundesländer Oberösterreich, Salzburg, Kärnten, Niederösterreich, Steiermark, Vorarlberg und Burgenland sowie die Gemeinden Bad Ischl, Eisenstadt, Frauenkirchen, Grieskirchen, Kittsee, Kobersdorf, Korneuburg, Mattersburg, Oberwart, Purkersdorf, Rechnitz, Stockerau, Vöcklabruck und Wiener Neudorf. Zudem haben die Stadtgemeinden Bad Vöslau und Schwechat die Schiedsinstanz ersucht, die Prüfung zweier der Schiedsinstanz vorliegender Fälle vorzunehmen.

Je ein Mitglied der Schiedsinstanz wurde von der Regierung der Vereinigten Staaten und der Regierung Österreichs nominiert. Der Vorsitzende wurde von diesen zwei Mitgliedern gewählt. Vorsitzender der Schiedsinstanz war Univ.-Prof. Josef Aicher; von amerikanischer Seite wurde Univ.-Prof. August Reinisch nominiert, von österreichischer Seite der ehemalige Botschafter Erich Kussbach.

Die Schiedsinstanz hat über alle eingelangten 2.307 Anträge auf Naturalrestitution abgesprochen und zu diesen 1.582 Entscheidungen erlassen. Der Gesamtwert der Immobilien, deren Rückstellung die Schiedsinstanz empfohlen hat, beläuft sich auf geschätzte 48 Millionen Euro.

Am 29. Juni 2021 wurde der Schlussbericht der Schiedsinstanz durch den Hauptausschuss des Nationalrates zur Kenntnis genommen und die Schiedsinstanz aufgelöst.

4. Zusätzliche Sozialleistungen für Überlebende*

Punkt 4 sah zusätzliche Sozialleistungen für überlebende NS-Opfer im Bereich der Opferfürsorge, des Pflegegeldes und der Pensionsversicherung vor.

In Umsetzung dieser Vereinbarungen wurden mit Erlassung des EF-G zugleich das Opferfürsorgegesetz (OFG) und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) geändert. Für den Bezug von Pflegegeld wurde vereinbart, "die Auszahlung des Pflegegeldes bis zur Stufe 7 so bald wie möglich an im Ausland lebende Opfer des Nationalsozialismus zu ermöglichen." Weiters wurde vereinbart, die bis dahin geltende Altersgrenze von sechs Jahren bei erzwungener Emigration als Bedingung für die Anerkennung einer Schädigung zu streichen und den Aufenthalt in Einrichtungen, die Konzentrationslagern ähnelten, wie z.B. Sammellager, zwecks Erreichung von Rentenansprüchen einer Haft gleichzustellen. Zudem fiel die Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Bezug von Rentenleistungen weg.

Seit dem Jahr 2002 werden Leistungen aller sieben Pflegegeldstufen an NS-Opfer mit einem Wohnsitz im Ausland exportiert, während dies davor nur in einer Stufe (zweite Pflegestufe) möglich war. Die Anzahl der PflegegeldbezieherInnen gemäß § 5a OFG stieg von Ende 2001 bis Ende 2003 zunächst, seit 2004 ist sie rückläufig. Ende 2021 lebten 1.030 PflegegeldbezieherInnen im Ausland, davon 452 in den USA, 316 in Israel und 93 in Großbritannien; die weiteren verteilten sich auf 21 andere Länder. Von 2002 bis inklusive 2021 wurde Pflegegeld in Höhe von rund 255,1 Millionen Euro an Anspruchsberechtigte im Ausland gezahlt.

Die Anzahl der RentenbezieherInnen nach dem OFG reduzierte sich von knapp 1.648 BezieherInnen im Jahr 2016 auf 1.092 Anfang 2022. Mit Stand Jänner 2022 gab es davon insgesamt 176 RentenbezieherInnen mit einem Wohnsitz außerhalb Österreichs.

Bis Ende 2021 wurden im Bereich Opferfürsorge insgesamt rund 1.022,1 Millionen Euro aufgewendet. Diese Summe gliedert sich auf in einen Gesamtaufwand in der Opferfürsorge von 988,6 Millionen Euro sowie Geldleistungen aus dem Ausgleichstaxfonds/Opferfürsorge in der Höhe von 33,5 Millionen Euro.

Im Bereich des ASVG wurde im Washingtoner Abkommen vereinbart, dass "alle zwischen dem 1. Jänner 1933 und dem 12. März 1938 auf dem gegenwärtigen Territorium der Republik Österreich Geborenen berechtigt sind, sich unter den Bedingungen des § 502 (1), (4) und (6) in das österreichische Pensionsversicherungssystem einzukaufen." Aufgrund der Begünstigungsvorschriften bezogen Ende 2005 insgesamt rund 14.300 Personen eine Pension aus der gesetzlichen Pensionsversicherung, Ende 2021 waren es 3.107 Personen. Der Gesamtaufwand für alle Pensionen an "begünstigte Personen" hat sich im selben Zeitraum von rund 96 Millionen Euro pro Jahr auf rund 22 Millionen Euro pro Jahr reduziert.

5. Restitution von Kunstgegenständen

Punkt 5 behandelt die Restitution von Kunstgegenständen, die auf Grundlage des 1998 verabschiedeten Kunstrückgabegesetzes "in beschleunigtem Maße" fortgesetzt werden sollte. Darüber hinaus sollten ähnliche Verfahrensweisen auf Gemeinde- und Länderebene "angeregt" und zu diesem Zweck die Provenienzforschung verstärkt werden. Die österreichische Bundesregierung sicherte zu, "ihr Möglichstes" zu tun, um die Frage der Rückstellung von Kunstgegenständen von österreichischen Unternehmen und österreichischen öffentlichen Körperschaften, die von dem Bundesgesetz nicht erfasst werden, anzugehen.

Nachdem Wien und Steiermark bereits vor Bekanntmachung des Washingtoner Abkommens entsprechende Beschlüsse gefasst hatten, verabschiedeten Salzburg, Niederösterreich, Burgenland und Oberösterreich im Jahr 2002, Kärnten und Vorarlberg 2003, Tirol 2007 sowie die Gemeinde Stockerau 2004 entsprechende Beschlüsse bzw. Landesgesetze.

2009 wurde der Anwendungsbereich des Kunstrückgabegesetzes, das bis dahin nur Gegenstände in österreichischen Bundesmuseen und -sammlungen erfasst hatte, auf sonstiges bewegliches Kulturgut im unmittelbaren Bundeseigentum erweitert und auch auf Gegenstände ausgedehnt, die zwischen 1933 und 1938 im gesamten Herrschaftsgebiet des Deutschen Reiches entzogen worden waren. Auf Basis des Kunstrückgabegesetzes wurden bisher rund 10.000 Kunstgegenstände für eine Rückgabe empfohlen.

Der Nationalfonds betreibt seit 2006 eine Kunst-Datenbank als Informationsplattform und Forum zur ErbInnensuche. Sie umfasst etwa 9.000 Objekte, von denen rund 2.800 bereits geprüft wurden. Können keine RechtsnachfolgerInnen nach den geschädigten EigentümerInnen von restitutionswürdigen Objekten gefunden werden, verwertet der Nationalfonds die Gegenstände entsprechend seinem gesetzlichen Auftrag zugunsten von NS-Opfern. Im Juni 2010 wurden im Sinne des Kunstrückgabegesetzes dem Nationalfonds erstmals Kunstgegenstände – 8.363 Bücher aus der Nationalbibliothek – übereignet, deren Erlös Opfern des Nationalsozialismus zugutekommt.

Weitere Informationen zu den Aufgaben des Nationalfonds in der Kunstrestitution siehe unter https://www.nationalfonds.org/verwertung-erbloser-kunstgegenstaende

6. Sportverein Hakoah

Punkt 6 sah die Rückgabe und Renovierung des ehemaligen Geländes des jüdischen Sportvereins Hakoah vor.

Als Ersatz für das 1938 vom NS-Regime beschlagnahmte Areal wurde dem wiedergegründeten Verein 2004 ein 19.500 Quadratmeter großes Grundstück nahe dem Ernst-Happel-Stadion im Wiener Prater übergeben. Darüber hinaus stellten die Stadt Wien und der Bund je vier Millionen US-Dollar für den Umbau zur Verfügung. Die feierliche Eröffnung des Sportzentrums fand im März 2008 statt.

7. Staatsarchiv

Punkt 7 sah vor, dass der Bund dem Österreichischen Staatsarchiv zusätzliche Mittel zur Verfügung stellt, um einen besseren Zugang zu den Akten zu ermöglichen und Anfragen zu Akten betreffend Entschädigungs- und Restitutionsangelegenheiten schnell und unbürokratisch zu erledigen.

Dem Staatsarchiv (Archiv der Republik) standen zu diesem Zweck im Zeitraum von 2001 bis 2007 zwei Zivildiener pro Turnus und danach einer zur Verfügung. Insgesamt wurden während dieser Zeit geschätzte 90.000 Akten für die Bearbeitung von Restitutions- und Entschädigungsanträgen bereitgestellt. Etwa zwei Drittel der rund 72.000 Akten, die von der Rechercheabteilung des Entschädigungsfonds für das Antragskomitee recherchiert wurden, stammen aus Archiven in Wien, der Großteil davon aus dem Staatsarchiv.

8. Jüdische Friedhöfe

Punkt 8 sah die Unterstützung für die Restaurierung und Erhaltung jüdischer Friedhöfe in Österreich vor.

Nachdem die jüdischen Friedhöfe in Österreich ab 2001 systematisch erfasst und das Bundesdenkmalamt diese auf ihre Denkmalwürdigkeit untersucht hatte, wurde 2010 das Bundesgesetz über die Einrichtung des Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe in Österreich erlassen. Die Verwaltung des Fonds wurde dem Nationalfonds übertragen. Ein Beirat spricht Empfehlungen für die Entscheidungen des Kuratoriums aus. Das Kuratorium des Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe in Österreich entscheidet auf Grundlage der erlassenen Richtlinien über die eingereichten Anträge auf Förderung.

Von 2010 bis Ende 2020 hat der Friedhofsfonds rund 50 Sanierungsprojekte auf 13 jüdischen Friedhöfen im ganzen Bundesgebiet mit insgesamt rund 7,3 Millionen Euro unterstützt.

9. Subventionen für das jährliche Holocaust-Bildungsprogramm des Salzburg Seminars

Punkt 9 sah Subventionen für das jährliche Holocaust-Bildungsprogramm des Salzburg-Seminars vor.

Das "Salzburg Global Seminar" der "Holocaust Education and Genocide Prevention Initiative" ist ein langfristiges Projekt, das in Zusammenarbeit mit dem United States Holocaust Memorial Museum und dem österreichischen Außenministerium zur Untersuchung der Verbindungen zwischen "Holocaust Education" und "Genocide Prevention" entwickelt wurde. Österreich hat die 2010 veranstaltete internationale Gründungskonferenz "The Global Prevention of Genocide: Learning from the Holocaust" mit 75.000 Euro aus Mitteln des Zukunftsfonds finanziell unterstützt. Das österreichische Team der Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance, and Research (heute: International Holocaust Remembrance Association) hat zur Planung und Durchführung der Konferenz beigetragen.

Eine weitere Konferenz, "Learning from the Past: Global Perspectives on Holocaust Education", die im Juni 2012 in Salzburg stattfand, untersuchte die Rolle des Holocaust als Referenzpunkt für PädagogInnen auf der ganzen Welt, die sich mit den Themen Völkermord und Menschenrechte beschäftigen. Die Konferenz wurde vom Zukunftsfonds und vom Nationalfonds finanziell unterstützt.

Eine weitere Konferenz "Holocaust Education and Genocide Prevention: Sharing Experiences across Borders" 2014 wurde unter anderem vom Nationalfonds finanziell unterstützt.

10. Rechtssicherheit

Punkt 10 regelt schließlich die Rechtssicherheit Österreichs gegenüber Ansprüchen, "die sich aus oder im Zusammenhang mit der Zeit des Nationalsozialismus oder dem Zweiten Weltkrieg ergeben und die gegen Österreich und/oder österreichische Unternehmen erhoben worden sind oder möglicherweise erhoben werden können."

Nach Errichtung des Entschädigungsfonds und der Schiedsinstanz, den Gesetzesänderungen betreffend die in Punkt 4 vereinbarten zusätzlichen sozialen Maßnahmen, den "nach Treu und Glauben gemachten Fortschritten" bei der Umsetzung der Punkte 5 bis 9 und der Abweisung der letzten Sammelklage wurde 2005 mit BGBl. II Nr. 414/2005 das Eintreten des "Rechtsfriedens" kundgemacht.

Bilanz

20 Jahre nach Abschluss des Washingtoner Abkommens sind die vereinbarten Maßnahmen zugunsten von NS-Opfern im Wesentlichen umgesetzt. Die kritische Auseinandersetzung mit der (eigenen) NS-Vergangenheit und das Lernen daraus bleiben als Herausforderungen für die Zukunft bestehen.

* Die Angaben zu Punkt 4 "zusätzlichen Sozialleistungen für Überlebende" wurden am 16. Mai 2022 mit Informationen des Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz vom 22. April 2022 aktualisiert.